Vor den US-Wahlen: Wo stehen die USA wissenschaftspolitisch?
News vom 12.09.2024
Washington, D.C.: Zwei Monate vor den richtungsweisenden Präsidentschaftswahlen war eine hochrangige Delegation von Universitätsleitungen der German U15 im politischen Herz der USA, um mit führenden wissenschaftspolitischen Akteuren zu sprechen: von NSF bis NIH, von DARPA bis State Department. Und natürlich mit den amerikanischen Spitzenunis.
Es war eine Reise der Widersprüche. Hoffnung und Enthusiasmus einerseits, gerade angesichts der Nominierung von Kamala Harris – Polarisierung, Sorge um das Land und ein starker Sicherheitsfokus andererseits. Die Wahlen prägen auch den wissenschaftspolitischen Diskurs und alle Gesprächspartner betonen: Noch sei nichts entschieden, die Wahl offen, es bleibe ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss.
Wir haben in Washington nach den großen wissenschaftspolitischen Trends geschaut, denn bekanntlich kommt das, was in den USA passiert, ja gerne etwas später auch nach Deutschland.
Unsere fünf Take-aways:
1. Wissenschaft: Unter Politisierungsdruck
„Universities are the Enemy“ heißt der Titel eines Vortrages aus dem Jahr 2021 von JD Vance – also dem Mann, den Donald Trump zu seinem Running Mate für das Amt des Vizepräsidenten gemacht hat. Immer wieder sprechen wir über die zunehmende Politisierung von Wissenschaft, die besonders stark aus dem Trump-Lager vorangetrieben wird. Klimaforschung, Diversität und selbst Impfstoffforschung werden populistisch angegriffen. Amerikanische Spitzenunis warnen bereits öffentlich vor einer Politisierung der Forschungsförderung. Und alle treibt die Frage um: Werden die propalästinensischen Protestcamps im Herbst, mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs, wieder aufflammen? Und wenn ja: Wie verhalten sich insbesondere die Demokraten dazu?
2. Forschung: Der Sicherheitsimperativ
Aus deutscher Sicht ist verblüffend, wie konsequent Forschung in den USA aus einer Perspektive nationaler Sicherheit gedacht wird – übrigens überparteilich. Dabei geht es gleichermaßen um Sicherheit von Forschung (verhindern, dass Erkenntnisse in die falschen Hände gerät) wie um Sicherheit durch Forschung (die USA schützen). Ebenso verblüffend ist allerdings, wie weit der zugrundeliegende Sicherheitsbegriff ist. Es geht in sehr grundsätzlicher Weise darum, die eigenen Werte und Lebensweisen souverän erhalten und schützen zu können. Deshalb umfasst Sicherheit eben nicht nur Militär und Verteidigung, sondern auch technologische und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, selbst Impfstoffforschung und Schulernährung fallen darunter. Mehrfach wurden die dual-use benefits betont, die sich daraus für die Zivilgesellschaft ergeben.
3. China: Kein Decoupling, aber mehr Sicherheitskultur
Ein dominierendes Thema war der Umgang mit dem Systemrivalen China. Die politische Sorge vor einem nicht autorisierten Wissensabfluss gerade bei Zukunftstechnologien wie KI und Quanten ist groß – und wird von beiden Parteien geteilt. Sie wird bleiben, egal wer die Wahl gewinnt. Beruhigend war: Niemand redet von Decoupling, stattdessen steht die Schaffung einer Culture of Research Security im Fokus, etwa durch verstärkte Sicherheitsschulungen. Aus der Wissenschaft war vor allem die Sorge vor einer Überregulierung zu hören, die den Begründungsaufwand für internationale Forschungsvorhaben so erhöht, dass Forschende sich frustriert abwenden und erst gar nichts mehr beantragen. Eine vieldiskutierte Entwicklung in diesem Kontext ist die Gründung des SECURE Centers, einem von der National Science Foundation (NSF) mit viel Geld gefördertem Zentrum, das als one-stop-shop die akademische Community in Forschungssicherheitsfragen unterstützen soll. Da das Zentrum erst im Aufbau ist, ist es noch zu früh für praktische Einschätzungen. Klar sei, so die amerikanischen Kollegen, dass es nicht zu einem Bürokratiemonster werden dürfe, das die Agilität der Forschung einschränke. Als positiv wurde hervorgehoben, dass die Entscheidung, mit wem man wie kooperiere, in der Wissenschaft verbleibe und nicht durch die Politik erfolge.
4. Talente: Mehr heimischer Nachschub
Die USA sind der größte Talentmagnet der Welt. Kein Land ist besser darin, ambitionierte Menschen von überall aus der Welt anzuziehen. Die ausreichende Versorgung mit Talenten insbesondere im MINT-Bereich wird in den USA – wenig überraschend – als sicherheitsrelevante Frage gesehen. Interessanterweise werden daraus zwei unterschiedliche Schlüsse gezogen. Einerseits wollen die USA durch attraktive Einwanderungspolitik weiter Toptalente aus aller Welt gewinnen. Zugleich setzen sie verstärkt auf heimische Talententwicklung, um unabhängiger von geopolitischen Konflikten und der talent supply chainanderer Länder, insbesondere China, zu werden. Mit gezielten Initiativen sollen die sogenannten „missing millions“ in den USA für das Wissenschaftssystem gewonnen werden. Im Bereich MINT sind das insbesondere Frauen und andere bisher unterpräsentierte Gruppen.
5. Deutschland: Enger Verbündeter, der mehr Eigenverantwortung übernehmen muss
Was folgt daraus für Deutschland? In allen Gesprächen wurde betont, wie wichtig Europa und besonders Deutschland als Kooperationspartner für die USA sind. Oft wurde mehr Zusammenarbeit gewünscht. Wir haben auch über Kooperationshürden etwa beim Teilen von Forschungsdaten (hallo DSGVO!) gesprochen. Die Wissenschaft setzt also klar auf Kooperation, besonders mit like-minded countries. Die vielleicht wichtigste Botschaft ist dann auch keine genuin wissenschaftliche. Man muss davon ausgehen, dass die politische Aufmerksamkeit der USA sich weiter vom Atlantik Richtung Indopazifik verlagert. Für Europa und insbesondere Deutschland heißt das, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen, Stichwort: Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Diese Entwicklung würde auch unter einer Präsidentin Harris stattfinden, wenn auch weniger rasant und explosiv als unter einem Präsidenten Trump. Die Folgen für Deutschland und Europa werden erheblich sein, angefangen von der Frage, woher die Milliarden für den Verteidigungshaushalt kommen sollen – und sie werden auch die Wissenschaft betreffen. Wir sollten uns darauf vorbereiten.
Autor: Dr. Jan Wöpking, Geschäftsführer von German U15
Veröffentlichung im Research.Table, 10. September 2024