Mehr europäische Exzellenz wagen!
News vom 30.10.2024
Bald beginnt die zweite Amtszeit Ursula von der Leyens als EU-Kommissionspräsidentin. Gleich zu Beginn wird es um den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt gehen und damit auch um die künftige Forschungspolitik. Brutal wie nie würden die Kämpfe ums Geld, hört man aus Brüssel. Worum geht’s, und was ist jetzt wichtig?
Die Ausgangslage ist klar: Die EU steht vor einer harten Bewährungsprobe. Sie muss produktiver und wehrhafter werden, um in der künftigen Weltordnung zwischen China und den USA, Russland und Indien eine souveräne, selbstbestimmte Rolle zu spielen.
Deshalb will von der Leyen vor allem die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dafür möchte sie Wissenschaft und Technologie »in den Mittelpunkt unserer Wirtschaft« stellen und bescheinigt unseren »Forscherinnen und Forschern und Universitäten der Weltklasse«, Wettbewerbsfaktoren ersten Ranges zu sein.
So weit, so richtig. Entscheidend ist aber das Wie. Ein bloßes »Weiter so« will niemand. Zu kleinteilig, zu bürokratisch und zu wenig strategisch fördert die EU bisher. Ein radikaler Vorschlag kommt von der Kommission selbst. Sie will die bestehenden Förderprogramme für Forschung, Gesundheit oder Verteidigung nicht nur optimieren, sondern in einem riesigen »Wettbewerbsfonds« auflösen, einem Billionen-Euro-Topf mit zentraler politischer Steuerung.
Überzeugend an der Idee ist, Forschung und Innovation ins Zentrum einer Wachstumsagenda zu stellen. Da gehören sie hin. Aber zugleich darf Radikalität kein Selbstzweck sein. Was bereits gut läuft, sollte aus-, nicht umgebaut werden – gerade weil es der Wettbewerbsfähigkeit dient. Das fordern übrigens auch alle Experten, die dieses Jahr Empfehlungen zur EU-Forschung vorgelegt haben. Drei Punkte sind besonders wichtig:
1. Exzellenz
Europa muss auf Spitzenforschung setzen, auf Exzellenz, die wettbewerblich bestimmt wird. Das heißt insbesondere, den Europäischen Forschungsrat (ERC) zu stärken, das Beste, was die EU in puncto Wissenschaft je hervorgebracht hat. Der ERC fördert bahnbrechende Vorhaben und zieht Top-Forschende an. Stu¬dien bescheinigen ihm einen immensen Return on Investment. Möglich macht das seine Unabhängigkeit vom Brüsseler Apparat. Ihn politischer Steuerung zu unterstellen, würde eine einzigartige Erfolgsgeschichte gefährden.
2. Geld
Um Wissenschaft noch stärker zum Motor der europäischen Wirtschaft zu machen, braucht es viel Geld, doppelt so viel wie jetzt. Denn aktuell verliert Europa noch zu viele Talente an andere Standorte. Genauso wichtig ist Planungssicherheit. Ein Mega-Topf, dessen Zuschnitt jedes Jahr neu verhandelt würde, würde diese aufs Spiel setzen. Er dürfte nicht nur administrative Hyperkomplexität schüren, sondern tagespolitisch motivierte Begehrlichkeiten wecken. Einzelne Bereiche könnten ge¬gen¬ein¬an¬der ausgespielt werden, etwa die Verteidigungs- gegen die zivile Forschung. Top-Forschung aber braucht vor allem fachliche Expertise, Verlässlichkeit und langen Atem.
3. Partner
Großbritannien, Israel, Südkorea und Kanada sind schon Premiumpartner der EU-Forschung, viele weitere Wissenschaftsnationen wollen es werden. Europa hat das Zeug zum globalen Superforschungshub – wenn wir weiter auf Kooperation statt Isolationismus setzen.
Europas Forschung hat riesiges Potenzial, unseren Kontinent stärker und souveräner zu machen. Brüssel weiß das – und muss jetzt die Weichen dafür stellen. Mit Mut zur Exzellenz.
Autor: Dr. Jan Wöpking, Geschäftsführer von German U15
Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 46/2024, Position, 30. Oktober 2024