Empfehlungen für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung
Präambel
Deutschland ist inmitten einer Bildungskrise, manche sprechen sogar von einer Bildungskatastrophe. Sicher ist: Die schulische Bildung steht vor einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Das sichtbarste Problem ist der dramatische Lehrer*innenmangel: Nach Schätzungen der Kultusministerkonferenz werden bis 2025 rund 25.000 Lehrer*innen fehlen, bis 2030 gar 31.000 (KMK, 2022). Der Bildungsforscher Klaus Klemm spricht sogar von bis zu 80.000 fehlenden Lehrkräften. Dieser Bildungsnotstand hat gravierende soziale, wirtschaftliche, politische und nicht zuletzt wissenschaftliche Folgen: Der gesellschaftliche Zusammenhalt, eine lebendige Demokratie und die Zukunftsfähigkeit unserer Wissensgesellschaft basieren alle auf einer hochwertigen grundständigen Bildung an den Schulen.
In einer solchen Krisensituation sind alle Akteur*innen gefordert, Verantwortung auch über das übliche Maß hinaus zu übernehmen. Das gilt für Bund, Länder, Kommunen, Schulen. Und es gilt für die Universitäten. Wir bilden die Lehrer*innen von morgen. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst und nehmen sie an. Dieses Papier ist ein Schritt auf diesem Weg. Wir wollen Probleme und Lösungen diskutieren und gemeinsame Wege mit Politik, Schulen und Gesellschaft finden.
Universitäten sind auf zweifache Weise vom Lehrer*innenmangel betroffen: Exzellente Forschung und Lehre basieren auf einer hervorragenden Schulbildung. Und zugleich gewährleisten Universitäten die qualitätsgesicherte Bildung und Professionalisierung der Lehrer*innen selbst und tragen auf diese Weise zur Qualität schulischer Bildung sowie der Attraktivität des Lehrer*innenberufs bei.
Vor diesem Hintergrund erfüllt uns der teilweise drastische Rückgang an Bewerber*innen in Lehramtsstudiengängen mit großer Sorge.
Deshalb liegt uns die Schaffung guter Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Lehrer*innenbildung am Herzen. Sie erfordert die Zusammenarbeit von Politik, Universitäten und Schulen. Wir begrüßen daher die von der KMK am 17. März 2023 verabredeten Maßnahmen, die insbesondere ein partizipatives Vorgehen von Politik und Hochschulen einfordern.
In diesem Positionspapier formulieren wir erste Vorschläge, die sich an politische Entscheidungsträger*innen in Bund und Ländern sowie an uns selbst richten. Sie enthalten sowohl Vorschläge für Ad-hoc-Maßnahmen zur Krisenbewältigung als auch eher grundsätzliche Maßnahmen für eine zukunftsgerichtete Lehrer*innenbildung.
Die Empfehlungen auf einen Blick
I. Ad-hoc-Maßnahmen zur Bewältigung akuter Herausforderungen in der Lehrkräftebildung
1. Allen künftigen Lehrer*innen einen qualitätsgesicherten Bildungsweg ermöglichen. Es gibt mittlerweile viele Wege ins Lehramt. Unverzichtbar ist, dass alle rechtlich klar abgesteckt und vor allem qualitätsgesichert erfolgen. Universitäten könnten dafür praxiserprobte Formate in Aus-, Fort- und Weiterbildung anbieten und so die Qualitätssicherung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen gewährleisten. Dafür brauchen sie entsprechenden Ressourcen.
2. Universitäres Know-How nutzen, um fachfremde Lehrkräfte durch spezifisches Qualifizierungs-/Fortbildungsangebot zu professionalisieren. Wenn Lehrkräfte in der Krise für fachfremden Unterricht eingesetzt werden, müssen sie dafür qualifiziert bzw. fortgebildet werden. Universitäten haben dafür passgenaue Formate. Dieses Know-How von Universitäten muss im Fort- und Weiterbildungsbereich deutlich stärker als aktuell ausgeschöpft werden.
3. Wenn Lehramtsstudierende als Lehrkräfte eingesetzt werden, muss dies zeitlich begrenzt geschehen und vor allem professionell begleitet werden. Praxiserfahrungen sind wertvoll, doch zugleich kann die Qualität der Lehrer*innenbildung unter einer zu frühen Berufstätigkeit von Studierenden leiden. Ebenso kann sich die Dauer des Studiums verlängern. Eine klare zeitliche Regulierung und eine professionalisierende Begleitung sind daher unverzichtbar.
4. Die Attraktivität des Lehramtsstudiums durch positive Schulerfahrungen steigern. Nur wenn es gelingt, attraktive Rahmenbedingungen für den Lehrberuf zu schaffen, haben die Universitäten eine realistische Möglichkeit, genug Studieninteressierte für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Die Entlastung von Lehrer*innen, unter anderem durch die Etablierung multiprofessioneller Teams, aber auch die Förderung neuer Karrierewege durch flexible rechtliche Vorgaben aus der Politik können dazu beitragen, dass das Interesse am Lehramtsstudium wieder steigt.
5. Einrichtungen der Lehrer*innenbildung als Centers of Excellence jetzt stärken und vernetzen, um Lösungen für die akuten und grundsätzlichen Herausforderungen zu entwickeln. Die Universitäten in Deutschland haben unterschiedliche Strukturen und Schwerpunktsetzungen in der Lehrer*innenbildung herausgebildet. Die aktuelle Debatte verdeutlicht, dass Bund, Länder und die Universitäten jetzt gemeinsam handeln müssen, um die Zukunftsfähigkeit der Lehrer*innenbildung zu garantieren. Hierfür sollte mit Unterstützung und Einbindung der Politik ein länderübergreifendes Austauschnetzwerk von Einrichtungen der Lehrer*innenbildung etabliert werden, das einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch ermöglicht und den Wissenstransfer beschleunigt.
II. Grundsätzliche Maßnahmen für die Zukunftsfähigkeit der Lehrkräftebildung
6. Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung fortsetzen, um die Innovationsfähigkeit der Lehrkräftebildung zu sichern. Wir begrüßen nachdrücklich die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung (QLB) auch über 2023 hinaus fortzuschreiben. Förderbedarfe und Förderlogiken sollten gemeinsam mit den Universitäten erarbeitet werden, damit ein neues Programm den notwendigen Beitrag zur Bewältigung der Bildungskrise leisten kann. Die QLB ist eine Erfolgsgeschichte: Sie hat die Stellung der Lehrkräftebildung in den Universitäten deutlich erhöht und sich als Instrument bewährt, um Innovationen aus der Universität in die Schulen zu bringen.
7. Polyvalenz und Wissenschaftsbasiertheit der Lehrer*innenbildung sichern. Universitäten bilden angehende Lehrer*innen nicht aus, sie bilden sie. Das Lehramtsstudium ist in diesem Sinne ein wissenschaftliches Studium. Lehrer*innenbildung ist forschungsorientiert und stärkt neue Formen des Umgangs mit Wissen und Erkenntnis. Ihr Ziel ist es, angehende Lehrer*innen zu befähigen, fachliches Wissen und Können nicht nur einmalig zu erwerben, sondern fortlaufend selbständig aktualisieren und weiter entwickeln zu können. Die Polyvalenz des Lehramtsstudiums ist entscheidend, um die Durchlässigkeit zwischen Fach- und Lehramtsstudium zu sichern. Sie ermöglicht die Einbettung wissenschaftlicher Methoden und Fragestellungen in den Fachunterricht und bietet künftigen Lehrer*innen Perspektiven der fachlichen Weiterentwicklung.
8. Universitäten müssen viel stärker zu Orten der Weiterbildung werden. Dafür muss der Wissenstransfer zwischen Universitäten und Schulen schneller und besser werden. Universitäten und Schulen müssen für alle Phasen der Lehrkräftebildung gemeinsame Ansätze und Modelle entwickeln, die den gegenseitigen Wissenstransfer fördern. Das Potenzial von Universitäten, durch ein wissenschaftlich basiertes, attraktives Fort- und Weiterbildungsangebot einen stärkeren Beitrag zum „lebenslangen Lernen“ von Lehrer*innen zu leisten, muss stärker und systematisch genutzt werden. Die Länder müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Besuch solcher Angebote für Lehrer*innen attraktiv ist und in den Universitäten ein solcher Beitrag nachhaltig abbildbar ist.
9. Internationale Mobilität im Lehramt weiter fördern. Die Internationalisierung in der Lehrer*innenbildung muss weiter gezielt gefördert werden, damit sie zu einer stärkeren Vernetzung und einem gegenseitigen Forschungsaustausch beiträgt. Universitäten können dank ihrer Expertise und ihrer globalen Netzwerke sowohl den internationalen Wissensaustausch als auch die Mobilität der Lehramtsstudierenden voranbringen. Die Politik ist gefordert, Lehramtsstudierenden durch die Anpassung rechtlicher Rahmen- und Förderbedingungen ein Auslandsstudium oder ein Schulpraktikum im Ausland zu ermöglichen.
Empfehlungen – Ergänzungen
I. Ad-hoc-Maßnahmen zur Bewältigung akuter Herausforderungen in der Lehrkräftebildung
1. Allen künftigen Lehrer*innen einen qualitätsgesicherten Bildungsweg ermöglichen: Mit klaren rechtlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen Planungssicherheit geben und hohe Qualität bei unterschiedlichen Zugangswegen gewährleisten.
Ein wichtiges Instrument zur Bewältigung des Lehrkräftemangels kann eine höhere Durchlässigkeit der Zugänge in das Lehramt sein, etwa durch Quer- und Seiteneinstiege. Menschen mit einer bestehenden Vorbildung muss es einfacher möglich sein, den Lehrer*innenberuf zu ergreifen. Verschiedene Wege dorthin sind in Form neuer Studienmodelle und Qualifizierungskonzepte gemeinsam mit den Universitäten zu entwickeln und zu implementieren, ohne dabei auf die hohe fachliche und pädagogische Professionalisierung zu verzichten. Hierfür muss die Politik die Voraussetzungen schaffen, indem sie einen grundlegenden Rahmen für Wege ins Lehramt absteckt, Hochschulen mit entsprechenden Ressourcen für die Qualitätssicherung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ausstattet und sich am Entwicklungsprozess neuer Formatideen beteiligt.
Neue Studienmodelle könnten beispielsweise die Qualifizierung für andere Schulformen oder von Ein-Fach-Bachelor-Studierenden mit Hilfe eines maßgeschneiderten Master-Studiums zu zunächst so genannten Ein-Fach-Lehrer*innen sein. Damit ließe sich eine potenziell große Kohorte von Ein-Fach-Studierenden in einer Phase erreichen, die für den weiteren Fortgang ihres Studiums entscheidend ist und die noch vor der endgültigen Berufswahl liegt. Hiermit könnten auch potenzielle Studienabbrecher*innen als Quereinsteiger*innen für das Lehramt geworben werden.
2. Universitäres Know-How nutzen, um fachfremde Lehrkräfte durch spezifisches Qualifizierungs-/Fortbildungsangebot zu professionalisieren.
Der Unterricht durch fachfremde Lehrkräfte kann in der akuten Mangelsituation eine Maßnahme sein. Dieser darf jedoch nicht als ein langfristiger Ersatz für eine qualifizierte Lehrer*innenbildung angesehen werden, sondern dient ausschließlich der Überbrückung in der Krise. Für fachfremden Unterricht braucht es sowohl klare Rahmenbedingungen seitens der Politik als auch spezifische Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote. Universitäten können praxiserprobte, erfolgreiche Konzepte entwickeln und passgenau anbieten, um fachfremde Lehrkräfte in den Mangelfächern oder in Schulformen, in denen fachfremder Unterricht aufgrund pädagogischer Überlegungen bereits der Regelfall ist, fortzubilden. Bereits existierende außeruniversitäre Weiterbildungsstrukturen müssen wissenschaftliche Qualitätsstandards erfüllen, indem sie konstruktiv miteinander vernetzt werden. Der Aufbau eines außeruniversitären Parallelsystems in der Fort- und Weiterbildung, das solchen Standards nicht genügt, muss überwunden werden.
Neben einer den akuten Mangel adressierenden Weiterbildung muss eine fortlaufende fachliche Weiterqualifikation im Sinne des lebenslangen Lernens zentraler Bestandteil einer exzellenten Lehrer*innenbildung sein. Dafür müssen Lehrer*innen die zeitlichen Möglichkeiten und Universitäten die personellen Ressourcen bekommen und Universitäten strukturell und inhaltlich in die Planung von Fortbildungen integriert werden (siehe auch Empfehlung Nr. 8).
3. Wenn Lehramtsstudierende als Lehrkräfte eingesetzt werden, muss dies zeitlich begrenzt geschehen und vor allem professionell begleitet werden.
In deutschen Ballungsgebieten ist es aufgrund des schon heute bestehenden Lehrer*innenmangels weit verbreitete Praxis, Studierenden vor ihrem Masterabschluss und teilweise sogar vor ihrem Bachelorabschluss Arbeitsverhältnisse in den Schulen anzubieten. Diese Verpflichtungen umfassen nicht selten erhebliche Stundenumfänge von mehr als der Hälfte der Pflichtstundenzahl vollbeschäftigter Lehrkräfte. Dadurch geraten viele Studierende in eine Teilzeitfalle, wodurch sich ihre Studiengeschwindigkeit verlangsamt und sie ohne einen qualifizierenden Abschluss bereits in die Quasi-Berufstätigkeit übergehen. Diese Entwicklung erhöht das Risiko des Studienabbruchs sowie der De-Professionalisierung bei laufender Berufstätigkeit und hat Folgen für die einzelnen Lehrkräfte, die Lernenden und die Innovationsfähigkeit von Schule insgesamt. Wir befürworten eine Einbindung von Praxiselementen ins Lehramtsstudium, auch in Form von Arbeitsverhältnissen, idealerweise ab dem Masterstudium. Doch um einen Mehrwert für die Lehrer*innenbildung als Ganzes und für die Studierenden im Besonderen zu generieren, braucht es die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen. Neben einer engen zeitlichen Begrenzung vorzeitiger Beschäftigung an der Schule sind vor allem professionalisierende Begleitangebote an den Schulen und eine wirksame Verzahnung mit dem Studium entscheidend. Darüber hinaus können auch Maßnahmen zur Förderung eines Vollzeitstudiums, beispielsweise niederschwellige und nachhaltig effektive Förder- und Stipendienprogramme für das Lehramt, die finanziellen Belastungen für Lehramtsstudierende reduzieren.
4. Die Attraktivität des Lehramtsstudiums durch positive Schulerfahrungen steigern: Multiprofessionelle Teams fördern und kontinuierliche Professionalisierung ermöglichen.
Die sinkende Zahl von Studienbewerber*innen und Absolvent*innen führt drastisch vor Augen, dass das Berufsfeld Schule in Zeiten allgemeinen Fachkräftemangels nicht mehr attraktiv genug ist. Dabei spielen Wahrnehmungen teils aus den eigenen Schul- und teils aus Praxiserfahrungen während des Lehramtsstudiums, aber auch die gesellschaftliche Wertschätzung des Berufs eine wichtige Rolle: Negative Erfahrungen im und mit dem System Schule erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine Entscheidung gegen ein Lehramtsstudium oder für einen Abbruch des Studiums. Wer umgekehrt als Schüler*in oder als Student*in Schule als einen attraktiven und gestaltbaren Lebens- und Arbeitsraum erlebt, der auch individuelle Entwicklung ermöglicht, wird sich eher für ein Lehramtsstudium und den Lehrer*innenberuf entscheiden.
Nur wenn es gelingt, attraktive Rahmenbedingungen für den Lehrer*innenberuf zu schaffen, haben die Universitäten eine realistische Möglichkeit, genug Studieninteressierte für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Das kann durch die Entlastung von Lehrer*innen von Verwaltungs- und Organisationsaufgaben und die Etablierung multiprofessioneller Teams geschehen, aber auch durch eine strukturelle Förderung und flexible rechtliche Vorgaben, um Lehrer*innen eine ständige (berufliche) Weiterentwicklung und Professionalisierung (u.a. in Form von Mitgestaltungsmöglichkeiten an der Schule, Erprobung neuer Lehr-/Lernformate, Forschungssabbatical, Transparenz über mögliche Karrierewege) zu ermöglichen. Darüber hinaus bedarf es einer an neuesten Forschungserkenntnissen orientierten Raum- und Gebäudegestaltung sowie einer höheren (personellen) Durchlässigkeit zwischen Universität und Schule. Hierfür kann die Politik die Voraussetzungen schaffen und Ressourcen bereitstellen.
5. Einrichtungen der Lehrer*innenbildung als Centers of Excellence jetzt stärken und vernetzen, um Lösungen für die akuten und grundsätzlichen Herausforderungen zu entwickeln.
Einrichtungen der Lehrer*innenbildung (Fakultäten mit Lehramtsstudiengängen, Zentren für Lehrer*innenbildung, Schools of Education und weitere Plattformen) haben heute ein deutlich erweitertes Aufgabenspektrum. Waren sie ursprünglich Einrichtungen, die Studium und Lehre sowie schulische Praktika organisiert haben, sind sie mittlerweile profilierte Akteur*innen im Wissenschaftsmanagement. Sie engagieren sich in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Forschung, tragen zur Bildung von Lehrer*innen bei und sind Transmissionsriemen für innovative Zukunftsthemen wie Digitalisierung oder Inklusion. Sie müssen als Centers of Excellence mit übergreifenden Management- und Förderungsaufgaben verstanden werden, die aufgrund ihrer besonderen Expertise Antworten auf akute wie grundsätzliche Herausforderungen der Lehrer*innenbildung entwickeln können. Es ist entscheidend, diese jetzt mit Mitteln und Kompetenzen so auszustatten, dass sie ihr erweitertes Aufgabenspektrum substanziell und nachhaltig wahrnehmen können.
Die Universitäten in Deutschland haben unterschiedliche Strukturen und Schwerpunktsetzungen in der Lehrer*innenbildung etabliert. Diese Schwerpunkte und die damit verbundenen Erfahrungen gilt es stärker und dauerhaft miteinander zu verknüpfen. Auch damit der Wissenstransfer besser gelingt, braucht es Schnittstellen und Knotenpunkte, insbesondere in der zweiten und dritten Phase der Lehrkräftebildung. Hierfür sollte jetzt ein länderübergreifendes Austauschnetzwerk etabliert werden, das einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch ermöglicht und sichert. Wenn die Politik solche neuen Strukturen fördert, nutzen die universitären Akteur*innen sie, um den Wissenstransfer zu beschleunigen.
II. Grundsätzliche Maßnahmen für die Zukunftsfähigkeit der Lehrkräftebildung
6. Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung fortsetzen, um die Innovationsfähigkeit der Lehrkräftebildung zu sichern.
Wir begrüßen die Vereinbarung im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die „Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung (QLB)" weiterzuentwickeln. Die Fortführung der QLB sollte darüber hinaus gewährleisten, dass Forschung Innovationen ins System Schule bringen kann. Lehrer*innen können den sich ständig ändernden Herausforderungen nur dann gerecht werden, wenn Erkenntnismethoden und Ergebnisse über das Wirken von Unterricht Teil ihrer Profession sind und sie ihre fachwissenschaftlichen Kenntnisse fortlaufend aktualisieren (können). Das setzt eine solide fachwissenschaftliche Bildung und starke Bildungsforschung voraus. Lehrkräftebildung benötigt auch künftig Forschung in den Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken, Schulforschung, Berufs- und Sonderpädagogik sowie in weiteren Disziplinen, um erfolgreich bleiben zu können. Für die erfolgreiche Umsetzung ist es wichtig, jetzt die Förderziele und -logiken einer weiterentwickelten QLB mit den Akteur*innen der Lehrkräftebildung anhand der aktuellen Bedarfe zu initiieren, um deren Innovationsfähigkeit zukunftsweisend zu stärken.
7. Polyvalenz und Wissenschaftsbasiertheit der Lehrer*innenbildung sichern.
Universitäten mit ihren unterschiedlichen Fachdisziplinen, mit ihrer gelebten Vielfalt, Multiprofessionalität und gesellschaftlichen Einbettung sind Orte der multiperspektivischen, wissens- und forschungsbasierten Lehrer*innenbildung. Das Lehramtsstudium ist ein wissenschaftliches Studium. Universitäten bilden angehende Lehrer*innen nicht aus, sie bilden sie. Lehrer*innenbildung ist daher forschungsorientiert und stärkt neue Formen des Umgangs mit Wissen und Erkenntnis. Ihr Ziel ist es, angehende Lehrer*innen zu befähigen, fachliches Wissen und Können zu erwerben und fortlaufend zu aktualisieren, selbstständig wissenschaftlich fundierte Methoden anzuwenden und Lernformate (fach-)didaktisch adäquat umzusetzen und weiterzuentwickeln. Sie will sie befähigen, ein Mindset und Skills zu entwickeln, die zur Bewältigung und Gestaltung der gesellschaftlichen, ökologischen und technologischen Aufgaben essentiell sind. Dieser öffentliche Auftrag muss dauerhaft finanziell abgesichert sein, denn nur eine stabile Grundfinanzierung der Lehrer*innenbildung sichert die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.
Für die Stärkung der Forschungsorientierung in der Lehrer*innenbildung ist es wichtig, die Polyvalenz im Lehramtsstudium zu stärken. Durch eine Durchlässigkeit zwischen Fach- und Lehramtsstudium kann die Einbettung wissenschaftlicher Methoden und Fragestellungen in den Fachunterricht ermöglicht und künftigen Lehrer*innen eine Perspektive der fachlichen Weiterentwicklung angeboten werden.
8. Universitäten müssen viel stärker zu Orten der Weiterbildung werden. Dafür muss der Wissenstransfer zwischen Universitäten und Schulen schneller und besser werden.
Schule muss Lehrer*innen den Raum geben, sich aktuelles Wissen zu erschließen und mit Bezug auf akute gesellschaftliche Problemstellungen zu transformieren. Forschungserkenntnisse müssen dazu noch schneller und in größerem Umfang an die Schulen gelangen und Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis müssen in universitärer Lehre und Forschung noch gezielter aufgegriffen werden. Dazu ist es notwendig, dass Forschung und Praxis, Schulen und Universitäten in allen Phasen der Lehrkräftebildung gemeinsame Ansätze und Modelle entwickeln, wie ein gegenseitiger Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch umgesetzt sowie Implementierungen forschend begleitet und evaluiert werden können.
Dabei sind die Universitäten auch gefordert, einen stärkeren Beitrag zum “lebenslangen Lernen“ von Lehrer*innen zu leisten, beispielsweise durch ein attraktives Fort- und Weiterbildungsangebot, das wissenschaftlich basiert und universitär angebunden ist. Die Länder müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Besuch solcher Angebote für Lehrer*innen attraktiv ist und in den Universitäten ein solcher Beitrag dauerhaft strukturell abbildbar ist. Dazu müssen Anerkennungs- und Anreizsysteme sowie neue Formen der Anrechnung entwickelt und etabliert werden. Diese müssen dann von der politischen Seite rechtlich anerkannt werden.
9. Internationale Forschungsuniversitäten und die Lehrer*innenbildung stärker verknüpfen: Internationale Mobilität im Lehramt fördern.
Internationalisierungsprogramme in der Lehrer*innenbildung tragen zu einer stärkeren Vernetzung und einem gegenseitigen Forschungsaustausch bei. Das ist unerlässlich, um einen strukturierten Dialog über die Weiterentwicklung der schulischen Bildung und der Lehrer*innenbildung zu ermöglichen. Insbesondere in den Fremdsprachen sind internationale Angebote für die Professionalisierung entscheidend. Gleichzeitig profitieren Lehramtsstudierende von Auslandsaufenthalten durch das Kennenlernen anderer Lern- und Unterrichtskulturen. Internationale Förderprogramme müssen daher mit dem Ziel einer stärkeren globalen Sicht auf die Lehrer*innenbildung weiter ausgebaut werden. Sie schaffen Möglichkeiten, den Blick auf die Lehrer*innenbildung in Deutschland zu erweitern und Studierenden wie auch Lehrer*innen Wege zu eröffnen, sich durch internationale Erfahrungen zu professionalisieren.
Des Weiteren muss für den Fremdsprachenunterricht grundsätzliches Ziel sein, dass angehende Lehrkräfte zumindest einmal während ihres Studiums einen längeren Aufenthalt in einem Land ihrer zu unterrichtenden Fremdsprache absolviert haben. Derartige Aufenthalte ermöglichen einerseits das Sammeln sprachpraktischer Erfahrungen und können andererseits die kulturellen und alltagssprachlichen Aspekte der jeweiligen Sprachen vermitteln.
Internationale Forschungsuniversitäten können ihre Expertise einbringen, um sowohl den internationalen Wissensaustausch als auch die Mobilität der Lehramtsstudierenden mithilfe ihrer internationalen Netzwerke zu fördern. Gleichzeitig muss Lehramtsstudierenden durch die Anpassung rechtlicher Rahmen- und Förderbedingungen die Angst davor genommen werden, Nachteilen ausgesetzt zu sein, weil beispielsweise offene Anerkennungsfragen (von Leistungen oder schulischen Praktika) zu Studienzeitverlängerungen führen können.
Verwendete und weiterführende Literatur:
Arnold, E., Beck, N., Bohl, T., Drewek, P., Heinrich, M., Gehrmann, A. Koch, K., Streblow, L., van Ackeren, I. (2021): Eckpunktepapier Institutionalisierung Lehrerbildung: Diskussion und Etablierung elementarer institutioneller Standards der Lehrerbildung für die zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Busse, B. (2021): Lehrerinnen und Lehrer als change agents und avant-garde-Profession. Vision einer ganzheitlichen und zukunftsgerichteten Lehrer*innenbildung.
Forsa (2022): Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter. Ergebnisse einer bundesweiten repräsentativen Befragung. (https://www.vbe.de/fileadmin/user_upload/VBE/Service/Meinungsumfragen/2022-11-11_DSLK_Bericht.pdf)
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2022). 15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel. https://www.gew.de/15-punkte-gegen-lehrkraeftemangel
Klemm, K. (2022): Entwicklung von Lehrkräftebedarf und -angebot in Deutschland bis 2030. (https://www.vbe.de/fileadmin/user_upload/VBE/ Service/Meinungsumfragen/22-02-02_Expertise-Lehrkraeftebedarf-Klemm_-_final.pdf)
Klemm, K. (2020): Lehrkräftemangel in den MINT-Fächern: Kein Ende in Sicht. Zur Bedarfs- und Angebotsentwicklung in den allgemein-bildenden Schulen der Sekundarstufen I und II am Beispiel Nordrhein-Westfalens. (https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/mint-lehrkraeftebedarf-2020-ergebnisbericht.pdf)
Klemm, K. (2019): Seiten- und Quereinsteiger:innen an Schulen in den 16 Bundesländern. Versuch einer Übersicht.(http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/15305.pdf.)
Klemm, K., Zorn, D. (2019): Steigende Schülerzahlen im Primarbereich: Lehrkräftemangel deutlich stärker als von KMK erwartet. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh.
Klemm, K., Zorn, D. (2018): Lehrermangel an Grundschulen: Jetzt sind kurzfristig wirksame Maßnahmen erforderlich.
Klemm, K., Zorn, D. (2017): Demographische Rendite adé. Aktuelle Bevölkerungsentwicklung und Folgen für die allgemeinbildenden Schulen. (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/ demographische-rendite-ade/)
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2022). Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel. Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK).
Wübben Stiftung (2022): impaktlab impulse: Schulleitung? Nein, danke! Zu den Gründen, die das Amt unattraktiv machen. (https://www.wuebben-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/06/WS_impaktlab_impulse2_SchulleitungNeindanke.pdf)