Einleitung
Nach Jahren erratischer bis chaotischer Politik hat Großbritannien mit Keir Starmer einen neuen Premier, der Seriosität und Bodenständigkeit als Markenkern hat. Starmer kann sich zudem auf eine überwältigende Parlamentsmehrheit stützen: Labour hat mit 1/3 der Stimmen fast 2/3 der Mandate errungen, dem britischem Mehrheitswahlrecht sei Dank.
Was folgt aus Labours Erdrutschsieg für die Wissenschaft? Unsere fünf Takeaways:
(1) Neue Seriosität. Neuer Wissenschaftsminister wird Peter Kyle, der als deutlich wissenschaftsfreundlicher als seine Vorgängerin gilt. Geradezu Begeisterung in der Community hat die Berufung von Sir Patrick Vallance zum Staatssekretär ausgelöst: Vallance ist renommierter Mediziner, Professor am University College London, war Manager in der Pharmaindustrie und Chief Scientific Advisor früherer Regierungen. Er verbindet also akademische Meriten, Unternehmertum und politische Versiertheit. Eine spannende Entscheidung mit hohem Potenzial!
(2) Wiederannäherung an Deutschland und Europa. Die erste Amtsreise des neuen Außenministers, David Lammy, ging nach Deutschland, wo er einen Kurswechsel verkündete: „It’s time to reset Britain’s relations with Europe.“ Zwar gilt: Eine Rückkehr in die EU schließt Keir Starmer kategorisch aus, ebenso den Wiedereinstieg in Erasmus. Trotzdem wird Großbritannien wohl wieder enger an Europa und besonders Deutschland heranrücken. Das bedeutet auch Chancen für mehr wissenschaftliche Kooperation. Labour war klar für die Assoziierung zu Horizon Europe und wird voraussichtlich auch beim nächsten EU-Forschungsrahmenprogramm partizipieren wollen. Und selbst beim Reizthema Mobilität tut sich was: Die neue Regierung will Einreisebedingungen verbessern und mehr zur (Rück-)Gewinnung europäischer Studierender tun.
(3) Im Visier: Sicherheit. Die neue Regierung will insbesondere beim Thema Sicherheit mit der EU kooperieren. Dazu will man einen Pakt auflegen, der die Bereiche Klimaschutz, Cybersecurity, Energieversorgung aber insbesondere auch die militärische Kooperation umfasst. Das hat auch Implikationen für die Wissenschaft, Stichwort: Verteidigungsforschung. Britische Universitäten betreiben diese im Gegensatz zu deutschen mit Selbstverständlichkeit. Im Vorfeld der Wahl gab es Gerüchte, dass Labour eine "Verteidigungsallianz der Universitäten" anstrebt, die die Universitäten mit den Streitkräften verbinden und die militärische Forschung koordinieren soll. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass die neue Regierung die Verteidigungsforschung deutlich ausweiten wird.
(4) Ein Ende des „war on universities“. Die Tories standen der Wissenschaft teilweise offen feindselig gegenüber, warfen Universitäten Cancel-Culture und „Micky-Maus-Abschlüsse“ vor. Der neue Wissenschaftsminister versprach diesen „Krieg gegen die Universitäten“ zu beenden. Für Labour ist Wissenschaft mehr Teil der Lösung, weniger das Problem. Ein Beispiel ist eine große Lehrkräfteoffensive – finanziert durch die Beendigung von Steuervorteilen für Privatschulen –, die Universitäten als zentrale Akteure für die Stärkung der Bildung adressiert.
(5) Universitätsfinanzierung: Zwischen Pleitewelle und 10-Jahres-Zyklen. Viele britische Universitäten sind in existenzieller Finanznot. Labour weiß darum: Eine universitäre Pleitewelle wurde intern als potenzielles Super-GAU Thema identifiziert. Doch die Staatskassen sind leer und Labour hat bereits angekündigt, die Staatsausgaben zurückzufahren. Für die Universitäten werden kaum Aufwüchse erwartet, trotz ihres strukturellen Budgetdefizits, das vor allem aus der übergroßen Abhängigkeit von den tuition fees internationaler Studierender entstanden ist. Kein frisches Geld also, aber dafür immerhin mehr Planungssicherheit. Labour möchte die zuletzt kurzfristigen Finanzierungszyklen für Forschung und Entwicklung auf zehn Jahre ausweiten – das klingt für deutsche Ohren vertraut, am Ende stand hier vielleicht der Pakt für Forschung und Innovation Pate.
Insgesamt also gilt: Gerade für die deutsche und europäische Wissenschaft könnte die veränderte Situation in Großbritannien signifikante Vorteile bringen. Ein europafreundlicheres Klima, ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Universitäten und Regierung sowie Verbesserungen bei der Mobilität von Studierenden und Forschenden lassen hoffen, dass Deutschland mit seinem stärksten europäischen Wissenschaftspartner zukünftig wieder enger und mit weniger Hindernissen wird kooperieren können.
Yannick Bauer, Leiter Politik German U15
Dr. Jan Wöpking, Geschäftsführer German U15