Parlamentarische Diskussion mit Expert*innen der Lehrkräftebildung im Deutschen Bundestag
News vom 02.10.2023
Die U15-Universitäten bilden zusammen mehr als ein Drittel aller zukünftigen Lehrer*innen aus. Als Hochschulverbund stellen wir uns dieser Verantwortung und setzen uns für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung ein. Deshalb lud German U15 am 25. September 2023 in den Deutschen Bundestag ein, um darüber zu diskutieren, wie eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung aussehen muss, was Universitäten tun können, um den Lehrkräftemangel anzugehen und wie und wo der Bund gefordert ist, die Lehrkräftebildung zukunftsweisend zu gestalten.
Die Qualität der Bildung, die junge Menschen erhalten, beeinflusst die Zukunft einer Gesellschaft. Sie ist wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg und die Innovationsfähigkeit eines Landes sowie für den sozialen Zusammenhalt und das demokratische Miteinander. Eine qualitätsgesicherte und wissenschaftsbasierte Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte ist daher von besonderer Bedeutung.
Nach der Begrüßung von Nina Stahr MdB, Sprecherin für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, die durch ihre Schirmherrinnenschaft die Diskussion im Deutschen Bundestag ermöglichte, führte Erik Becker, Politischer Referent von German U15, durch den weiteren Abend. Den inhaltlichen Auftakt machte Prof. Dr. Roger Gläser, Prorektor für Talententwicklung: Studium und Lehre der Universität Leipzig mit einem kurzen Impuls zum Engagement der forschungsstarken Universitäten in der Lehrkräftebildung. Dabei ging er auf den Lehrkräftemangel ein, der sich in den kommenden Jahren wohl weiter verstärken wird. Prof. Gläser illustrierte in seinem Beitrag die Forderungen des Positionspapiers mit Empfehlungen für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung, welches die German U15-Universitäten im März 2023 veröffentlicht haben.
Anschließend ging Prof. Dr. Bettina Hannover, Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung und Direktorin der Dahlem School of Education der Freien Universität Berlinin ihrem Kurzvortrag auf einen Aspekt des Positionspapiers ein, der aus universitärer Sicht essentiell für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung ist: Die Wissenschaftlichkeit der Lehrkräftebildung und die Qualitätssicherung auf allen Wegen in den Lehrberuf. Prof. Hannover unterstrich unter anderem, dass durch die Basierung der universitären Lehrkräftebildung auf wissenschaftlich erprobten Methoden eine verbesserte Unterrichtsqualität und eine verminderte Belastung von Lehrer*innen erreicht werden kann. Den angehenden Lehrkräften würde in der Schulpraxis so der Rückgriff auf wissenschaftlich geprüfte Tools ermöglicht. Die notwendige Evidenzbasierung in der universitären Phase der Lehrkräftebildung bedeutet die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Evidenz in Form von empirisch geprüften Theorien und didaktischen Vorgehensweisen und Maßnahmen (z.B. zur Störungsprävention) und die Einbindung der praktischen Evidenz durchreflektierte Praxiserfahrungen.
In der anschließenden Debatte brachten von den U15-Universitäten auch Prof. Dr. Eva Arnold, Dekanin der Fakultät für Erziehungswissenschaften und Leiterin des Zentrums für Lehrerbildung Hamburg (ZLH) der Universität Hamburg und Prof. Dr. Roger Erb, Professor für Didaktik der Physik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ihre Expertise ein. Hier wurden die aktuellen Themen der Lehrkräftebildung kontextualisiert und einige Handlungsfelder für die Bundespolitik aufgezeigt:
- Um das Interesse für das Lehramtsstudium nachhaltig zu erhöhen, müssen der Wandel in den Berufsbiographien und die veränderte Lebensrealität vieler Studierender stärker berücksichtigt werden. Es braucht eine höhere Durchlässigkeit, eine Flexibilisierung der Wege in den Lehrberuf und eine Etablierung von allgemeinen Qualitätsstandards durch die Länder unter Mitwirkung des Bundes. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, muss der Einstieg ins Lehramt wissenschaftsbasiert und reflektiert begleitet werden, sodass sich die angehenden Lehrkräfte die fachlichen und die fachdidaktischen Kompetenzen bestmöglich aneignen können.
- Bessere Datenlage für mehr Evidenzbasierung der Lehrkräftebildung. Mit welchen Interessen gehen Studierende in ein Lehramtsstudium? Wie entwickeln sich diese Interessen im Verlauf des Studiums weiter? Zu diesen und weiteren Fragen gibt es noch Forschungsbedarf, bspw. zur Gestaltung des Wissenstransfers zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Hier könnte der Bund unterstützend wirken, um Forschungslücken zu schließen und die Lehrkräftebildung zu stärken. Gleichzeitig würden dadurch Daten für ein evidenzbasiertes, bildungspolitisches Handeln bereitgestellt.
- Eine Exzelleninitiative für die Lehrkräftebildung. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) hat die Sichtbarkeit der Lehrkräftebildung an den Universitäten stark vergrößert. Doch diese Verankerung muss weiter gefestigt werden, in dem die Zusammenarbeit von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und/oder Bildungswissenschaft gestärkt wird. Gerade die Studierenden verknüpfen Fachwissenschaft und Fachdidaktik noch nicht so, wie es für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung wichtig ist. Fachdidaktik und Fachwissenschaft sollten daher in einer Lehrveranstaltung zusammengebracht werden, um dadurch den fachlichen Bezug zu stärken und den Wissenstransfer aus der Forschung zu ermöglichen. Die Universität muss hierfür die Koordination übernehmen. Hierzu bedarf es zusätzlicher Förderung, damit dieser Wissenstransfer strukturell und finanziell ermöglicht wird.
- Mehr Praxiserfahrungen im Studium. Praxisphasen müssen dort gestärkt und ausgeweitet werden, wo sie bereits heute Teil der Lehrer*innenbildung sind. In den Ländern, wo diese noch nicht vorgesehen sind, müssen sie ermöglicht werden. Essenziell bleibt in jeden Fall eine qualitätsgesicherte Begleitung im Praxisteil, um die Erfahrungen reflektieren zu können und als Grundlage für das weitere Studium und die künftige Berufstätigkeit nutzbar zu machen.
- Ein duales Studium der Lehrkräftebildung hat Herausforderungen. Angesichts des akuten Lehrkräftemangels wird das duale Studium als mögliche Lösung diskutiert, um neue Zielgruppen für den Lehrberuf zu erreichen. Aufgrund unzureichender Datenlage ist jedoch nicht klar, ob das duale Studium dabei helfen kann, zusätzliche Zielgruppen für den Lehrberuf zu erschließen oder ob dadurch Zielgruppen nicht sogar verloren gehen. Die akuten Herausforderungen für die Studierenden bleiben auch im dualen Studium bestehen: schon jetzt stehen Studierende meistens alleine vor den Klassen. Sie brauchen daher eher empirisch belegte Tools und Methoden, die sie im Unterricht einsetzen können. Darüber hinaus kann die Logik und Funktionsweise der Berufsausbildung nicht auf die Lehrkräftebildung übertragen werden. Ein duales Studium als zusätzlicher Pfad würde zu Doppelstrukturen an den Hochschulen führen.