Springe direkt zu Inhalt

Eckpunkte für eine Weiterentwicklung der Strategie der Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftsminister des Bundes und der Länder für eine Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland

PRÄAMBEL

Die Internationalisierung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren substanziell verändert und nimmt wesentlich komplexere Formen und Ansätze an als zu Beginn dieses Jahrhunderts. Von der individuellen Mobilität einzelner ist Internationalisierung zu einer strategischen Maxime für Hochschulen geworden. Dies gilt insbesondere für forschungsstarke Universitäten. Internationale Kooperationen sind Erfolgsfaktor für alle ihre Leistungsdimensionen: Spitzenforschung ist ohne sie schlicht undenkbar. Forschung, Lehre und Transfer profitieren ebenso durch internationalen Austausch wie Strategie- und Governanceprozesse.

Der Angriffskrieg auf die Ukraine, Herausforderungen wie die Klimakrise, Pandemien und demografischer Wandel zeigen zudem, dass internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit geopolitisch geworden ist. Insbesondere großen, international ausgerichteten Forschungsuniversitäten kommt dabei eine globale Verantwortung zu: In einer multipolaren Welt, gekennzeichnet durch multiple Krisen müssen und wollen wir Internationalisierung nachhaltiger, wertebewusster, gerechter, diverser, digitaler und sicherer gestalten.

Internationalisierung, verstanden als Engagement internationale und vergleichende Perspektiven in Studium und Lehre, in Forschung, in Transferaktivitäten und in die Weiterentwicklung universitärer Governancestrukturen zu integrieren, ist heute mehr denn je eine Chance für die Gestaltung einer nachhaltigen, friedvollen Zukunft. Akteure der Internationalisierung sind die Hochschulen selbst. Durch ihre Bestrebungen entfaltet Internationalisierung Wirkungen nicht nur in der verbesserten akademischen Qualität und Stärkung der interkulturellen Sensibilität von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern auch in der höheren Qualität des Wissensgewinns und der Innovationskraft von Universitäten in all ihren Leistungsdimensionen. Internationale Mobilität und wissenschaftliche Zusammenarbeit schaffen langfristige, wechselseitige Bindungen zwischen Menschen und zwischen Institutionen und bilden so zwischenstaatliche Brücken auch in Zeiten geopolitischer Krisen und Konflikte. Damit im Einklang steht die Verantwortung, in Not geratene Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu schützen.

Voraussetzung für ein Aufrücken der deutschen Hochschulen in weltweite Spitzenpositionen ist die Schaffung langfristiger, verlässlicher Strukturen zur Internationalisierung der Hochschulen. Vor diesem Hintergrund formulieren wir im Folgenden Empfehlungen für eine ambitionierte, zukunftsweisende Überarbeitung der Strategie der Wissenschaftsministerinnen und -minister von Bund und Ländern für die Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland (2024-2034). Die Empfehlungen richten sich gleichermaßen an Politik in Bund und Ländern, Förderorganisationen und die Hochschulen.


EMPFEHLUNGEN

(1)    Eine ambitionierte und nachhaltige Finanzarchitektur

Internationalisierung an Hochschulen beruht bisher in überwiegendem Maße auf kurzfristiger Projektfinanzierung und richtet sich oft auf Personen. Anders als bei vielen Forschungsdrittmitteln fehlt es zudem an auskömmlichen Overheadmitteln. Die Finanzierung ist nicht kostendeckend. Dies geht zulasten der Strategiefähigkeit und Krisenrobustheit: Aktivitäten werden viel stärker nach der Verfügbarkeit programmatischer Mittel ausgerichtet als nach langfristigen Überlegungen und lokalen Bedürfnissen. Langfristige Finanzierungen sind auch wichtig, um herausragendes Personal zu entwickeln und dauerhaft halten zu können. Kurz: Eine strategisch ambitionierte, krisenrobuste Hochschulinternationalisierung ist nicht kostenneutral zu erreichen, sondern braucht eine Erhöhung der Mittel und eine veränderte Finanzarchitektur.

A)      Internationalisierungsfinanzierung muss auskömmlich sein. Wir schlagen dafür die Einführung realistischer Overheads für Internationalisierungsdrittmittel vor. Anders als im Bereich der Forschung gibt es sie für Internatonalisierung nicht. Eine initiale Höhe von 25% dürfte eine auskömmliche Finanzierung ermöglichen.

B)      Internationalisierungsfinanzierung sollte langfristiger ausgerichtet werden und stärker durch die Grundfinanzierung der Länder abgesichert sein

C)      Sie sollte neben personenbezogenen in stärkerem Maße auch strukturelle Förderformate abbilden.

 

(2)    Offene Kooperation unter sicheren Bedingungen

Internationaler Austausch muss veränderten geo- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen – im Sinne einer wertebasierten und interessengeleiteten Realpolitik. Das heißt weder Entkopplung noch Naivität, sondern ein signifikant erhöhtes Bewusstsein für die Bedeutung von Forschungssicherheit, für das Risiko von ungewolltem Wissensabfluss und für die Verringerung unverhältnismäßiger Abhängigkeiten. Universitäten vereinen wisssenschaftliche Erkenntnisse zu sozioökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen weltweit und das Wissen aus langjährigen Kooperationserfahrungen und bieten so die Kompetenz für autonome differenzierte, abgewogene Internationalisierungsaktivitäten. Diese Kompetenz muss durch entsprechende hochschulische Prozesse, strukturelle Rahmenbedingungen, personelle und fiananzielle Ressourcen praktisch untersetzt sein, um u.a. die verantwortungsvolle Prüfung potenziell kritischer Kooperationen zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Das Ziel lautet: Wissenschaftliche Freiheit in wertebewussten, interessengeleiteten, risikoreflexiven und reziproken internationalen Kooperationen.

 (A)    Die Umsetzung von Prüfprozessen möglicher Risiken internationaler Kooperationen setzt den dauerhaften Aufbau entsprechender Kapazitäten an den Hochschulen voraus. Dafür werden Mittel gebraucht, die zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müssen.

(B)    Der Austausch zwischen Politik, Sicherheitsbehörden und Wissenschaft zu Chancen und Risiken internationaler wissenschaftlicher Kooperationen muss verstärkt werden, insbesondere mit Blick auf Länder, die andere Werte verfolgen. Dabei geht es um eine Erhöhung des wechselseitigen Verständnisses und der gegenseitigen Informations- und Beratungsangebote.

(C)    Drittens ist der Ausbau einer bundesweiten Plattform, wie das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) des DAAD, für den vertrauensvollen Erfahrungsaustausch zwischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen sinnvoll.

(D)   Viertens sollten gezielt Maßnahmen zur Stärkung der Cyberresilienz von Wissenschaftseinrichtungen gefördert werden, auch hierfür sind zusätzliche Mittel an den Hochschulen nötig.

 

(3)    Neue Daueraufgabe: Schutz- und Unterstützungsstrukturen für Studierende und Forschende in Not

Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar, dass die Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden in Not eine neue Daueraufgabe in der Internationalisierung darstellt. Dabei konnte bereits auf Erfahrungen in der Unterstützung Geflüchteter seit 2015 zurückgegriffen werden. Nur wenn entspechende Unterstützungs- und Schutzstrukturen professionell aufgestellt sind und durch realistische Finanzierung getragen werden, können Hochschulen in akuten Krisensituationen maximal schnell Hilfe und Unterstützung leisten. Politik und insbesondere Wissenschaft stehen in der Verantwortung, sich global für Wissenschaftsfreiheit einzusetzen und solidarisch Partnerinstitutionen beizustehen, die politischen Angriffen ausgesetzt sind.

 (A)    Hochschulen, Mittlerorganisationen, Bund, Länder, Städte und weitere Partner sind gefordert, ihre Schutz- und Unterstützungsstrukturen weiter zu professionalisieren und sich dabei eng abzustimmen.

(B)    Es braucht eine realistische, zusätzliche finanzielle Abbildung für die neuen Aufgaben, die nicht mehr nur von Krise zu Krise gedacht, sondern als Daueraufgaben verstanden werden müssen.

 

(4)    Die Attraktivität Deutschlands als Zielland stärken

Die Attraktivität Deutschlands als Zielland für Studien- und Forschungsaufenthalte sowie die Attraktivität der deutschen Wissenschaftslandschaft als Arbeitgeberin für internationale (Nachwuchs-)Forschende hängt wesentlich von politischen und sozioökonomischen Faktoren ab. Ein großer Vorteil ist die im Ausland stark wahrgenommene Stabilität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. Einen limitierenden Faktor stellen zunehmend soziale Fragen dar, allen voran der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Wenn Deutschland mit Top-Standorten wie den USA konkurrieren können will, sind in den folgenden Bereichen verstärkte Anstrengungen notwendig:

(A)    Mehr bezahlbarer Wohnraum für Studierende und Forschende, insbesondere Bereitstellung von Wohnmöglichkeiten in der Nähe des Universitätscampus.

(B)    Eine Willkommenskultur unterlegt durch zusätzliche Ressourcen und Transparenz für schnellere und verlässlichere Visavergaben ebenso wie in den Ausländerbehörden zur Betreuung der ausländischen Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort.

(C)    Verbesserte Unterstützungsangebote für Studierende/Forschende mit Sorgeaufgaben, insbesondere Kinderbetreuung.

(D)   Einführung vereinfachter Regelungen zur Einschreibung in Kurzzeit- und digitalen Programmen sowie zu Kranken- und Sozialversicherungen für Studierende, insbesondere um die immer wichtigeren Formate der physischen Kurzzeit-/Teilleistungsmobilität rechtssicher zu ermöglichen; Personen, die ausschließlich online studieren, sollten von der Krankenkassenpflicht befreit werden.

 

(5)    Internationalisierung global diverser aufstellen

Künftig werden bestimmte Weltregionen deutlich stärker im Fokus stehen als bisher, darunter insbesondere Länder im Globalen Süden[1]. Diese Kooperationen erfordern z.T. signifikant andere Herangehensweisen und setzen die Schaffung einer Awareness für politische und regulative Differenzen ebenso voraus wie für Differenzen in Religion, Geschlecht und Sexualität. Hochschulen sind dabei gefordert, ihre geopolitische Kompetenz weiter auszubauen und sich noch stärker als außenwissenschaftliche Akteure zu begreifen, gemeinsam mit den drei großen Mittlerorganisationen. Besonders wertvoll sind Kooperationen, die zu einer nachhaltigen Stärkung der Forchungskompetenz der beteiligten Partnerländer führen. Wichtig ist zugleich, die bestehende Zusammenarbeit insbesondere mit vertrauensvollen, wissenschaftlich starken Ländern auf höchstem Niveau weiterzuführen.

(A)    Ausbau der Angebote zur Erhöhung spezifischen Regionalwissens für Länder im Globalen Süden und (z.B. über den DAAD);

(B)    Auf- und Ausbau von Plattformen für den Austausch von regionalspezifischen Kooperationserfahrungen und Vorgehensweisen.

 

(6)    Die Chancen Europas für Internationalisierung nutzen

Internationalisierung muss europäisch gedacht werden. Europa wird nur als Ganzes seine Wettbewerbsfähigkeit als bedeutender Lehr- und Forschungsstandort halten und weiter ausbauen können. Kern sind die EU-Länder und ihre langjährig vertrauten Partner. Insbesondere Großbritannien, die Schweiz und Israel sind essenzielle Partner des europäischen Lehr- und Forschungsraums und sollten entsprechend zu EU-Programmen assoziiert sein. Dazu braucht es:

A)      Ein ambitioniertes zehntes Forschungsrahmenprogramm mit einem verdoppelten Budget;

B)      Die Assoziierung langjähriger Schlüsselpartner wie Großbritannien und der Schweiz zu Erasmus; die Assoziierung der Schweiz ebenso wie neuer Partnerländer wie Kanada oder Australien zum EU-Forschungsrahmenprogramm;

C)      Die Stärkung der Europäischen Hochschulallianzen – auf europäischer Ebene und durch starke Kofinanzierung auf Bundes- und Länderebene.

D)      Die Stärkung der Europäischen Hochschulallianzen mit Förderung durch die Generaldirektionen Bildung und Kultur (DG EAC) UND die Generaldirektion Forschung und Innovation (DG RTD).

 

(7)    Neue Mobilitäten ermöglichen

Hochschulen sind gefordert, neue Angebote für veränderte Mobilitätspräferenzen zu entwickeln. Dazu zählen Formate für kürzere Auslandsaufenthalte sowie für primär oder gar ausschließlich digitale internationale Erfahrungen. Wichtig ist, beides nicht als Alternative, sondern als Ergänzung für längeren, physischen Austausch zu begreifen. Das Portfolio an Internationalisierungsformaten (Internationalisation@Home, Incomin- und Outgoing-Mobilität) ist deutlich auszubauen – dafür braucht es verbesserte rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen.

A)      Verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen für Kurzzeit- bzw. digitale Aufenthalte, siehe Punkt (4) (Einführung von vereinfachten Regelungen zu Kranken- und Sozialversicherungen für Studierende, insbesondere um die immer wichtigeren Formate der physischen Kurzzeit-/Teilleistungsmobilität rechtssicher zu ermöglichen; Online-Studierende sollten von der Krankenkassenpflicht befreit werden).

 

(8)    Die Internationalisierung von Studium und Lehre ausbauen

Internationalisierungserfahrungen in Studium und Lehre sind sowohl Wert an sich als auch Treiber für spätere internationale Forschung. Eine größere Barriere auf dem Weg zu mehr internationalen Studierenden in Deutschland sind, gerade im Bereich des grundständigen Studiums, die hohen Anforderungen an Deutschkenntnisse. Im Bereich der Outgoings liegen besondere Potenziale in Studierendengruppen mit aktuell sehr geringen Internationalisierungsraten. Dazu zählt insbesondere das Lehramt.

A)      Mehrsprachige Studiengänge, vor allem englischsprachige Studiengänge und Lehrveranstaltungen systematisch ausbauen, auch bereits im Bachelor-Studium (mit begleitendem Deutschangebot). Dafür braucht es eine Flexibilisierung der Rahmenbedingungen zur Einrichtung mehrsprachiger Bachelorstudiengänge.

B)      Ausbau von mit internationalen Partnern durchgeführten digitalen Lehrformaten und Integration internationaler Erfahrung, auch die ‚at home‘ eingeworbene, in die Curricula.

C)      Die Internationalisierung des Lehramtsstudiums und angehender Lehrkräfte verdient besondere Aufmerksamkeit. Gute Internationalsierungsprogramme bieten mehr Mobilitätsangebote auch für Lehramtsstudierende außerhalb von Fremdsprachenstudiengängen (also etwa in den Naturwissenschaften) und eine erleichterte Anerkennung von Auslandspraktika im Lehramtsstudium und gegenseitigen Forschungsaustausch. Entspechende Programme etwa des DAAD sollten weitergeführt und ausgebaut werden.

 

(9)    Internationale Hochschulverwaltung

Insbesondere für die Stärkung der Internationalisierung an den Universitäten in Deutschland ist der Ausbau der Willkommenskultur auf administrativer Seite zentral. Dabei geht es sowohl um den Ausbau administrativer Services, um Mehrsprachigkeit des Verwaltungspersonals und um interkulturelle Sensibilität als auch um eine stärkere Diversität des Personals selbst.

A)      Stärkung der Englischsprachigkeit und internationalen Sensibilität des Verwaltungspersonals durch gezielte Personalentwicklungskonzepte (Ausbau von Diversität und Mehrsprachigkeit des Verwaltungspersonals, Förderung interkultureller Qualifikationen und Sensibilität für Herausforderungen mit bestimmten Ländern) und die Bereitstellung von englischsprachigen Dokumenten.

 

(10)            Administrative Aufwände reduzieren

Der Verwaltungsaufwand für Projektanträge und Vorhaben in der Internationalisierung ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Eine Entbürokratisierungsinitiative ist dringend notwendig verbunden mit der Schaffung effizienter digitaler Prozesse.

 A)      Entbürokratisierungs- und Digitalisierungsinitiative der Antrags- und Berichtsverfahren im Bereich Internationalisierung.




[1] „Globaler Süden“ verstanden in Anlehnung an das „Lexikon der Entwicklungspolitik“ genutzt – s. dazu https://www.bmz.de/de/service/lexikon#lexicon=147314: „Die deutsche Entwicklungspolitik ordnet die Länder dem Globalen Süden zu, die von den Mitgliedern des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) öffentliche Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit (ODA) erhalten.